Adrian hat gar kein Pferd

Zeigt das Bilderbuchcover

Inhalt

Zoe beschwert sich über Adrian Simmer, den Träumer, der behauptet er habe ein Pferd. Das kann ja gar nicht sein, weiß sie, mitten in der Stadt. Ein Pferd ist teuer, doch Adrian trägt zerschlissene Schuhe und bringt nur Butterbrot mit zur Schule. Die Lehrerin mahnt, man müsse Verständnis mit ihm haben, aber dann muss er auch aufhören zu lügen. Als sie sich erneut bei ihrer Mutter über seine Lüge beschwert, wird es dieser zu viel. Sie nimmt ihre Tochter mit auf einen Spaziergang, der sie in eine ärmliche Gegend führt. Dort entdeckt das Mädchen Adrian Simmer vor einem sehr kleinen Haus. Als Zoe ihm gegenübersteht und seinen kleinen Garten sieht, möchte sie ihm sagen, dass sie es längst wusste, doch es bleibt ihr im Hals stecken. Adrian betrachtet sie und wirft ihr einen Ball zu. Versöhnlich fragt sie, ob sein Pferd denn auf einem Bauernhof sei. Als Adrian wieder beginnt von seinem Pferd mit der goldenen Mähne zu sprechen, fällt ihr plötzlich auf, welche unheimliche Vorstellungskraft Adrian besitzt – und dass er das schönste Pferd auf der ganzen Welt hat.

Bewertung

Das bemerkenswerte an dieser Geschichte ist die Perspektivenübernahme der Autorin und die Feinsinnigkeit, mit der sie die Gefühle der Protagonistin ausdrückt. Das Mädchen findet es gemein, dass ihr Klassenkamerad mit seinen Lügen bei anderen ankommt, sie empfindet Eifersucht, zumal er mit einer Lüge ankommt. Lügen ist nicht erlaubt. Von ihrem Standpunkt aus, ist der Fall eindeutig. Ihre Mutter, die Adrians Situation kennt, wünscht sich mehr Einfühlungsvermögen und Nachsicht für ihre Tochter. Sie hätte ihr die Situation erklären können, stattdessen nimmt sie sie mit, um die unterschiedlichen Lebensverhältnisse aufzuzeigen. Dadurch erreicht sie für Zoe eine Einsicht und Erkenntnis, die sie hätte nicht besser erklären können. Hilfreich ist hierbei auch Adrian, der die verlegene Situation durch das Zuwerfen eines Balls aufbricht. Das Mädchen merkt, dass es unnötig und unangebracht ist, ihn erneut auf seine Lüge anzusprechen und signalisiert ihm wohlwollend, dass sie ihn nicht weiter bloßstellen wird.
Die Gefühlswelt, die Zoe bewegt, ist so komplex, wie moralische Regeln nun mal sind. Es gibt kein richtig und falsch, auch wenn lügen tendenziell eher falsch ist, so ist das Richtigstellen, als Bloßstellen, in dieser Geschichte noch schlimmer. Diese komplexen gesellschaftlichen Strukturen in einem Bilderbuch darzustellen ist den Schaffenden sehr gut gelungen.
Die Illustratorin zeichnet ihre Figuren in einem sehr lebendigen, ausdrucksstarken Stil und unterstreicht die gut gewählte Sprache der Autorin. Ein Bilderbuch, dass sich eignet in der Kindergruppe auszuhandeln, welche Gefühle und Bewertungen involviert sind.

Die feinfühlige Geschichte wurde für den Huckepack – Preis 2020 nominiert, der Bilderbücher auszeichnet, in denen sich die Charaktere auf Augenhöhe begegnen, einander respektvoll zuhören und die Wünsche und Nöte des Anderen wahrnehmen.

Pädagogische Vermittlung

Dieses Bilderbuch lädt zum Diskutieren ein. Dafür würde ich eine kleine Anzahl 5 – 7 jähriger Kinder mit in das Bildungsangebot nehmen. Nachdem wir das Bilderbuch gelesen haben, dürfen die Kinder frei erzählen, wie sie die Geschichte fanden. Welche Person würden sie spielen, wenn sie in einem Theaterstück mitmachen würden? Danach nehme ich drei einzelne Seiten heraus, in denen wir das Verhalten der abgebildeten Kinder bewerten. Jedes Kind bekommt einen Muggelstein, den es mit einem Kommentar auf ein rotes oder grünes Tuch legen darf.
Beispiel 1: Adrian sitzt abseits an einem Tisch, die anderen Kinder auf Abstand links von ihm, unterhalten sich angeregt.
Grün: Adrian sieht zufrieden aus. Das Mädchen unterhält sich erfreut mit ihrer Freundin. Kein Kind scheint unzufrieden.
Rot: Adrian sitzt nicht bei den Anderen, er wirkt wie ein Aussenseiter.
Frage: Ist man immer ein Aussenseiter, wenn man alleine sitzt?
In dieser Art würde ich noch weitere Bilder analysieren. Dabei sollen die Kinder merken, dass es unterschiedliche Bewertungen gibt, denn je nach Erfahrungshorizont variieren diese stark.
Ich bin gespannt, auf welche Seite sich die Kinder schlagen werden – ein kindgerechtes, moralisches Dilemma.

Zeigt das Bilderbuchcover
Adrian hat gar kein Pferd
Autorin: Marcy Campbell
Illustratorin: Corinna Luyken
Übersetzer: Uwe-Michael Gutzschhahn
cbj, 2019
ISBN: 978-3-570-17647-4
ab 5 Jahren
Details und erhältlich* bei: Thalia Genialokal

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