In unserer Nähe wohnt ein Mädchen
Ein Bilderbuch über verpasste Chancen
Inhalt
„In unserer Nähe wohnt ein Mädchen“ – die beiden Ich – Erzählerinnen berichten von dem sonderbaren Kind, dass in sich gekehrt die Klasse besucht. Manchmal darf sie die Rolle der Zofe im Prinzessinnenspiel übernehmen – eine andere Rolle steht ihr nicht. Sie ist nicht so hübsch, arm, hat kein eigenes Zimmer und erscheint „körperlos“ – die beiden kommen ihr nicht zu Nahe und können sie nicht umarmen.
Erst als sie nicht mehr da ist, fragen sie sich, wer sie eigentlich wirklich war. Als ihr Spint geleert wird, kommen schöne Bilder zum Vorschein. Bilder, die Geheimnisse enthalten, nach denen keiner mehr fragen kann…
Bewertung
„In unserer Nähe wohnt ein Mädchen“ erzählt schonungslos von der verpassten Chance mit jemandem Kontakt aufzunehmen und seinen Blickwinkel zu erweitern. Die beiden Erzählerinnen haben das Mädchen in eine Schublade gesteckt, sie scheinen verunsichert. Sie glauben sie wüssten Bescheid, wie es bei dem Mädchen Zuhause zugeht und stülpen stereotype Annahmen und Vorurteile über sie. Manches vermischt sich mit Beobachtungen, beispielsweise, wenn das Mädchen in der Pause den Kopf erhebt, weil ihr Bruder erscheint.
Das Bilderbuch hält den Leser*innen einen Spiegel vor – wie oft fällt es uns schwer, Kontakt zu Menschen aufzunehmen, die nicht zu unserer Sozialisierung passen und wie oft, vermeiden wir den Kontakt, anstatt ins Gespräch zu gehen.
Dieses Bilderbuch thematisiert die Tendenz jedes Menschen seinesgleichen zu suchen und Fremden gegenüber verunsichert aufzutreten.
Das Buch startet im Januar, jede Doppelseite thematisiert einen neuen Monat und eine andere Facette der Vorurteile oder Beobachtungen. Ab September ist das Mädchen fort. Niemand weiß wohin und das alte Haus, in dem sie gelebt hat, wird abgerissen, damit Platz für ein neues mit schönen Geschäften ist. Im Oktober öffnen sie ihr Spint und entdecken die Kunstwerke, die von einem Leben erzählen, dass sie sich nicht für sie vorstellen konnten. Sie fragen sich: Wer war sie eigentlich? Die Kapitel sind klar unterteilt und lebensnah formuliert. Es betrifft Themen, die eher Mädchen betreffen, aber auch von Jungs nachvollzogen werden können.
Die Bilder sind in Beige und Brauntönen gehalten, was das dargestellte, ärmliche Leben unterstreicht. Das Mädchen selbst wird auch introvertiert und eher traurig dargestellt.
Mir gefällt an diesem Bilderbuch, das es die Leser*innen wachruft, ihnen einen Spiegel vorhält. Die Thematik sehe ich eher in der Grundschule oder in einem Leseclub, da die Kinder dafür erweiterte Fähigkeiten der Selbstreflexion benötigen. Erweitert gedacht, geht es hier um ein „anders sein“, Akzeptanz und Offenheit gegenüber anderen Lebensweisen, diese haben oftmals mit Privilegien zu tun, manchmal aber auch mit Entscheidungen, die Familien treffen. Für mich ist dieses Bilderbuch eine Chance bei Kindern das Bewusstsein zu wecken, dass jede verweigerte Kontaktaufnahme eine verpasste Chance ist, den eigenen Blick zu weiten.
Pädagogische Vermittlung
Wie bereits angedeutet, finde ich dieses Bilderbuch eher für die Grundschule/ Hort / Leseclub geeignet. Ich würde mich dafür entscheiden, das Bilderbuch Monat für Monat zu betrachten. Die Kapitel sind in Monate gegliedert und thematisieren unterschiedliche Aspekte der Vorurteile oder gesellschaftlicher Missstände, die man sehr gut einzeln besprechen kann.
Im Januar geht es darum, dass sie beim Prinzessinnenspiel nur die „Zofe“ übernehmen darf. Fragen an die Kinder wären:
– Was bedeutet das Wort Zofe?
– Wie fühlt sich ein Kind, dass immer die Zofe spielen muss?
– Warum möchten die Kinder nicht auf ihre Bitte eingehen?
– Wie ist eine „richtige“ Prinzessin? Sind Prinzessinnen immer sanft und hübsch?
So sprechen wir Monat für Monat über einen Aspekt des Schubladendenkens, gegenüber dem Mädchen, dass ziemlich sicher von Armut betroffen, vielleicht mit Migrationserfahrung in der Nähe wohnt und von den Erzählerinnen keine Chance bekommt.
Autorin: Ida Mlakar Črnič
Illustrator_in: Peter Škerl
Übersetzer_in: Alexandra Natalie Zaleznik
Beltz und Gelberg, 2023
ISBN: 978-3-407-75739-5
Details und erhältlich* bei: Thalia Genialokal Verlag
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